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Der neueste Thrill

Die Gamescom 2015 – Next Level of Entertainment – hat ihre Tore geöffnet, Spielefans drängeln sich an diesem Wochenende wieder einmal durch die ausverkauften Hallen der um sich dort anden neuesten Playstations oder hinter 3-D-Brillen den großen Kick zu holen.

Das Interesse daran, in eine virtuelle Welt abzutauchen, scheint riesig zu sein und manche Spieler kommen in voller Verkleidung ihres Lieblingsspielhelden. (Im Verkleiden sind die Kölner ja auch geübt). Auf jeder Messe müssen neue Spiele präsentiert werden – blinkender, schneller und ausgefeilter als im Vorjahr.

Wenn man vor 14 Tagen in Düsseldorf auf die größte Kirmes am Rhein ging, konnte man in 80 Meter Höhe über Kopf hängend und sich drehend die Welt betrachten. Die Achterbahn hatte wieder einige Loopings mehr und auch der Rest der Fahrgeschäfte war nur noch etwas für Lebensmüde. Jedes Jahr schneller, höher, weiter – einfach zum Zeitvertreib. Was drängt uns Menschen dazu, immer neuen Thrills hinterherzujagen oder uns leichtsinnig zum Zeitvertreib sogar Gefahren auszusetzen?

Die anerzogene Verachtung des „Normalen“

F.M. Alexander schrieb 1923 in einem Artikel über „Glück“:
„Leider wurde uns beigebracht, dass alle normalen, notwendigen und daher häufigsten Handlungen im Leben automatisch und unbewusst sein müssen; aus diesem Grund sind sie uns gleichgültig geworden. Wir verlieren allmählich die Fähigkeit, den nützlichen und normalen Lebensaktivitäten im Bereich Hören, Sehen oder Tun usw. ein bewusstes Interesse entgegenzubringen und Freude abzugewinnen. Es ist kein Wunder, dass wir eher oder später Befriedigung in weniger normalen und weniger nützlichen Aktivitäten suchen, und damit ein übermäßiges und schädliches Bedürfnis nach spezifischen Anreizen und Erregungszuständen oder nach anderen spezifischen Vergnügungen schaffen!“

Achtsamkeit und Bewusstheit bringen den „Kick“

Meine Erfahrung im Alexander-Technik Unterricht ist tatsächlich: Die ganz alltäglichen Dinge mit Achtsamkeit und Bewusstheit zu verrichten und nicht automatisch so schnell und unbewusst abzuarbeiten führt dazu, sie nicht als langweilig zu empfinden. Im Gegenteil, man zieht mehr Spaß und Zufriedenheit aus ihnen. Je zufriedener man grundsätzlich ist, desto weniger ist man darauf angewiesen, immer nach dem neuesten Thrill von außen zu suchen. Statt dessen geben Achtsamkeit und Bewussheit den Kick von innen.

Gut Ding braucht Weile – Veränderung braucht Zeit

Der fromme Wunsch nach „Spontanheilung“

Meist kommen Menschen erst auf die Idee, sich zu verändern, wenn es irgendwo klemmt oder gar schon brennt. Und dann soll sich die Verbesserung möglichst schnell oder sofort einstellen. Soweit der Plan.

Als Frau S.  zu mir in den Unterricht kam, hatte sie bereits seit einiger Zeit Rückenschmerzen. Irgendwann in ihrem Bürojob begannen sie, und nach geraumer Zeit beschloss sie, dass nun „etwas passieren muss“. Seitdem hat sie eine längere Odyssee an Maßnahmen hinter sich. wie Massage, Sport, Yoga etc.  Nun bekam sie von einer Freundin die Empfehlung, die Alexander-Technik zu probieren.

Ihre erste Frage war, wie lange es denn dauern würde, bis ihre Rückenschmerzen weg seien.
Ich antwortete ihr – so wie ich stets auf diese Frage reagiere – dass weder ich noch jemand anderes den Zeitraum abschätzen könnte, weil Schmerzen sehr „unsichere Kandidaten“ sind, deren Auftreten und Verschwinden nicht immer unserer Logik folgten.

Ich schlug ihr vor, dass wir mit dem Unterricht beginnen und beobachten, was passiert. Jedoch wird der Lern-Prozess einige Zeit dauern. Ihre nächste Frage war daraufhin, wie lange sie denn Unterricht nehmen müsse.

Bewusstheit entwickeln braucht Zeit und Geduld

Ich erklärte ihr, dass die neuen Dinge, die sie im Unterricht lernt, nicht schwer zu erlernen seien, das Meiste ist sogar sehr leicht nachvollziehbar und im Unterricht auch leicht anwendbar. Der schwierigste Faktor ist die Umsetzung im Alltag. Nicht, dass es nicht genügend Gelegenheiten dazu gäbe … Aber meistens sind wir „zu beschäftigt“ mit unseren alltäglichen Aufgaben, so dass wir glatt „vergessen“, das neu Erlernte anzuwenden. Zu schnell „versanden“ dann die neuen Erkenntnisse. – Schade.

Mit Alexander-Technik zum Selbst-Bewusstsein

Ein großer Teil der Unterrichtszeit wird also darauf verwendet, das Neue zu implementieren und durchzuhalten. Dazu brauchen wir größere Aufmerksamkeit und ein erhöhtes Bewusstsein von uns selbst und den Sitautionen.  – Und dies zu erlangen braucht Training.

Dieses Training  – das Erhöhen des Selbst-Bewusstseins – ist eines der Kernpunkte der Alexander-Technik. Selbst-Bewusstsein bedeutet, dass wir die Wahl sehen, die wir haben, und dass wir uns entscheiden können, wie wir handeln und diesen Freiraum gestalten können. Von diesem höheren Selbst-Bewusstsein auskönnen wir dann eine Verhaltensänderung in die gewünscht Richtung führen.

Die 1-Jahres-Regel

Dieses Training braucht Zeit. Alexander sprach von der „1-Jahres-Regel“. Gute Verhaltensweisen müssen ca. 1 Jahr lang durchgehalten werden, bis sie nachhaltige Erfolge zeitigen. Dafür ist eine geschulte Begleitung notwendig – z.B. ein Alexander-Lehrer. Er oder sie begleitet den Lern-Prozess, bis der Schüler ihn verinnerlicht hat.

Es macht Sinn, Unterrichtsstunden über einen Zeitraum von ca. 1 Jahr zu nehmen oder an der intensiven Jahres-Gruppe teilzunehmen. Das Veränderungspotenzial in diesem Kontext ist sehr groß und wirkt sich auf viele Gebiete des Lebens positiv aus.

Gerade in diesem September beginnt ein neuer Jahreskurs und ich als Leiterin freue mich jetzt schon auf die Fortschritte, die die Teilnehmer auf dieser spannenden Reise erzielen werden. Frau S. ist mit dabei!

Weitere Infos unter Jahresgruppe

Leichtigkeit und Reife

„Reife ist ein Prozess von Subtraktion, nicht von Addition.“ (M. Chadbourne)
Dieses Zitat spricht mir aus der Seele, denn es umfasst ein wichtiges Prinzip der Alexander-Technik, dem Prinzip des Weglassens von Unnötigem. Was haben Leictigkeit und persönliche Reife miteinander zu tun?

Leichtigkeit

Schauen wir uns erst einmal an, auf welchem Prinzip Leichtigkeit entstehen kann. Teilnehmer in meinen Alexandertechnik-Workshops äußern oft den Wunsch, dass sie sich Leichtigkeit im Leben wünschen. Sie leiden unter der Belastung des Alltags und hegen den berechtigen Wunsch, dass die Dinge des alltäglichen Lebens ihnen leichter fallen sollen. Diese Teilnehmer kommen mit der Vorstellung zur Alexander-Technik, dass sie dort eine „gute Haltung“ oder eine richtige Vorgehensweise lernen müssen, damit sie leichter werden.

Doch in dem Moment, wo sie etwas vermeintlich Richtiges „tun“, strengen sie sich erfahrungsgemäß noch mehr an als zuvor. Oft stellen diese neuen „Lösungen“ aber nur das andere Extrem der alten Belastung dar und fühlen sich genauso schwer an. Die wirkliche Lösung liegt darin, anzuhalten  und in Ruhe zu überlegen, welche selbstgeschaffenen Störfaktoren zu eliminieren sind.

Nehmen wir das Beispiel des mühelosen Sitzens. Beim vermeintlich „richtigen“ sitzen strengen sich die meisten Leute an, um gerade und aufrecht zu sitzen: Sie drücken die Wirbelsäule nach oben, spannen dabei Hals, Schultern und Lendenwirbelsäule an. Das sieht nicht nur bemüht aus, sondern ist auch sehr anstrengend – alles andere als leicht.Wenn das Ziel aber Leichtigkeit ist, kann Anstrengung nicht die Lösung sein.

Die Alexander-Technik nähert sich von der anderen Seite: Ist eine Haltung oder Tätigkeit schwer, dann „tut“ man bereits zuviel. Die Lösung liegt darin, das Zuviel, das Unnötige wegzulassen. Demnach geschieht müheloses Sitzen durch Weglassen der Muskelspannung, mit der man sich anspannt und „zusammenstaucht“.  Die leichtere und bessere Haltung oder Bewegung ergibt sich also durch den Prozess des Weglassens, nicht durch „richtiges Tun“. Sie ist wesentlich flexibler und wird meist als erstaunlich angenehm und mühelos empfunden.

Dieser Prozess  – das Eliminieren von Störfaktoren – bildet das Rückgrat der Alexander-Technik, denn die Alexander-Technik ist die Kunst des Weglassens von Unnötigem und Schädlichem. Dies führt zu Leichtigkeit im Leben. Geübt wird dieser Prozess im Alexandertechnik Unterricht  an der Ausführung von kleinen alltäglichen Handlungen, wie zum Beispiel Sitzen, Stehen, Gehen oder Tragen.

Reife durch Selbststeuerung

Die Fähigkeit, diese unnötigen Anspannungen loszulassen, lernt man  im Alexandertechnik-Unterricht. Dies geschieht durch einen Prozess der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung, durch den man nicht nur die Leichtigkeit der einzelnen Tätigkeiten erlernt,  sondern sich selbst auch besser kennen und weise zu steuern lernt. Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung helfen im Ringen mit eingefleischten Gewohnheiten und Verhaltensweisen  – und hier bietet die Alexander-Technik wertvolle Hilfen –  die  „mentalen Disziplinen“. Mit ihnen wird dem Autopiloten und den Gewohnheitsfallen zu Leibe gerückt und es können fest eingravierte Verhaltensweisen nach neuen Wünschen geändert werden.

Leichtigkeit und Reife haben somit dieselbe Wurzel: Das Leben wir leichter und besser durch das Weglassen von selbsterschaffenem Ballast und Störfaktoren. Grundlage dafür sind eine gute Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit, den Autopiloten zu stoppen und sich selbst bewusst zu steuern.